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Wiegenlied
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Am 15. Juli 1868 steckt Johannes Brahms zwei kleine Blätter in ein Kuvert, ein Wiegenlied, von ihm komponiert. Sorgfältig hat er die Noten mit zarter blauer Tinte geschrieben. Brahms ist 35 Jahre alt, unverheiratet und kinderlos. Als Pianist ist er international bekannt, sein Freund Robert Schumann feierte ihn schon vor Jahren als wegweisenden Komponisten. Doch erst im April 1868 ist ihm mit der Uraufführung seines Deutschen Requiems der Durchbruch gelungen. Als Brahms sein kleines Lied im wiegenden Dreivierteltakt abschickt, ahnt er nicht, dass es um die Welt gehen wird.
Das Liedergeschenk
Adressat ist der kleine Hans Faber, neugeborener Sohn des befreundeten Ehepaares Bertha und Artur Faber. Brahms schickt eine Art Gebrauchsanweisung mit, eine sehr persönliche. „Frau Bertha wird nun gleich sehen, dass ich das Wiegenlied ganz bloß für ihren Kleinen gemacht habe; sie wird es auch, wie ich, ganz in Ordnung finden, dass, während sie den Hans in Schlaf singt, der Mann sie ansingt und ein Liebeslied murmelt.“ Denn Brahms hat ein Liebeslied in der Klavierbegleitung versteckt. Bertha Faber wird es sofort erkannt haben – sie hat es dem Komponisten beigebracht, zehn Jahre zuvor in Hamburg. Dort hatte Brahms einen Frauenchor geleitet, in dem die damals noch unverheiratete Bertha Porubszky mitgesungen hatte. Sie brachte dem gut aussehenden Chorleiter österreichische Lieder bei, zum Beispiel „s‘ is anderscht“ mit den Zeilen: „Du meinst wohl, du glaubst wohl, die Liebe lässt sich erzwingen? Du denkst wohl, Du wickelst mich um den Finger?“ Möglicherweise verliebte sich Brahms in Bertha, und sie wies ihn zurück. Vielleicht war es umgekehrt. Doch genau dieses österreichische Liebeslied schmuggelt Brahms 1868 in die Klavierstimme des Wiegenliedes.
Generationen rätseln über den Text Rund eineinhalb Jahre nach dem Liedergeschenk an die Fabers, am 22. Dezember 1869, wird das Wiegenlied erstmals im Konzert aufgeführt. Am Klavier sitzt Brahms große Liebe Clara Schumann, selbst eine siebenfache Mutter. Das Stück verbreitet sich schon zu Lebzeiten des Komponisten rasend schnell. Verleger Karl Simrock verdient gut daran und veröffentlicht Bearbeitungen für Klavier zu zwei, vier und sechs Händen, mit Violine, Flöte, Cello, Harfe oder Zither, für Männerchor und Orchester. Brahms schreibt voller Ironie: „Wie wär’s, wenn Sie vom Wiegenlied auch Ausgaben in Moll machten, für unartige oder kränkelnde Kinder? Das wäre noch eine Möglichkeit, die Zahl der Ausgaben zu vermehren!“
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OrchestralArt Music Publications
Musikverlag aus Österreich mit Schwerpunkt Bläser- und Blasorchesterliteratur.
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